Somatic Experiencing® (SE)

Somatic Experiencing ist eine körperorientierte Therapiemethode, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Dabei werden sowohl psychische wie auch physiologische Aspekte einer solchen Erfahrung berücksichtigt.

Entwickelt wurde die Methode von Peter Levine PhD, geb. 1942. Er ist Biologe, Physiker und Psychologe und einer der bedeutendsten Traumaforscher unserer Zeit. Er verbindet das sorgfältige Studium von Verhaltensforschung an Tieren, Gehirnforschung und ursprünglichen Heilungsritualen mit umfassender klinischer Erfahrung. 2010 erhielt er für sein Lebenswerk den Lifetime Achievement Award der Amerikanischen Vereinigung für Körperpsychotherapie.

Peter Levine betont, dass Trauma weder eine Krankheit noch eine Störung ist. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Verletzung, verursacht durch lähmende Furcht und Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein und einem Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit (Kontrollverlust).

Traumatische Reaktionen sind Teil eines hochintelligenten psychosomatischen Selbstschutzsystems. In der therapeutischen Begleitung hören wir auf die Weisheit des Körpers, der sich in einer „Sprache ohne Worte“ ausdrückt. Dadurch kann ein Trauma und die mit ihm verknüpften zum Teil verwirrenden und beängstigenden psychischen und somatischen Symptome transformiert und aufgelöst werden. Entscheidend ist dabei, dass wir lernen unsere innewohnende Fähigkeit zur Selbstregulation von hohen Aktivierungszuständen des autonomen Nervensystems und intensiven Emotionen wieder zu nutzen. Denn Peter Levine sagt:

„Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Durch einschneidende Erlebnisse hat dieses seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen wieder in seine volle Spannbreite und Kraft zurückzufinden.“

Die Heilung von traumatischen Erfahrungen bedeutet für uns Menschen eine große Chance, durch die wir enorm gestärkt werden können. Die im Trauma gebundene Energie, die durch die Stresshormone dem Körper zur Verfügung gestellt wird, um auf die Bedrohung zu reagieren, steht dann dem Organismus im Alltag wieder zur Verfügung. Die innere Ruhe, die sich dadurch einstellt erzeugt ein Wohlbefinden in uns und damit eine ganz neue Lebensqualität.

Manchmal zeigen sich die Symptome auch erst Jahre nach dem Ereignis und manifestieren sich als sogenanntes PTBS (Post Traumatisches Belastungs-Syndrom). Diese Verzögerung macht es schwierig, einen kausalen Zusammenhang zum ursprünglichen Ereignis herzustellen. Dadurch wird der Traumaursprung vieler Erkrankungen oft nicht erkannt. Demzufolge stellt sich dann bei verschiedenen Therapieansätzen (medizinische oder therapeutische) nicht der erwünschte Erfolg ein, weil die durch das Trauma verursachten körperlichen und psychischen Reaktionen nicht oder zu wenig berücksichtigt werden.

Wenn der Organismus in der Immobilitätsreaktion, die mit dem Trauma verknüpft ist, stecken bleibt, fühlt es sich im Körper so an, als wäre die Bedrohung anhaltend real, während sie in Wirklichkeit der Vergangenheit angehört. Dementsprechend fokussiert sich das Nervensystem auf die Bedrohung zu reagieren und stellt entsprechende Energieressourcen bereit. Das ist seine Aufgabe und für den Bedarfsfall genial, aber eben nicht für den Dauerzustand. Diese Energie fehlt im Alltag für andere Systeme, wie z.B. dem Immunsystem oder dem Hormonsystem. Irgendwann führt das zu einer Dysregulation in unterschiedlichen Körpersystemen, die Homöostase (der Gleichgewichtszustand unseres dynamischen Körpersystems) ist gestört – damit ist die Basis für Erkrankungen und chronische Schmerzzustände gelegt. Bleibt das autonome Nervensystem in einem chronisch aktivierten Zustand führt das irgendwann zu Erschöpfungserscheinungen, die letztendlich in ein Burnout münden können.

 

PTBS-Kernsymptomatik:
  • Intrusionen: sich aufdrängende, belastende Trauma-Erinnerungen in Form von Bildern, Empfindungen, Flashbacks (Wiedererleben eines vergangenen Erlebnisses) und Alpträumen
  • Vermeidung von Orten, Tätigkeiten, Stichworten, die etwas mit dem Ereignis zu tun haben
  • Gefühllosigkeit/Taubheit (körperliche, emotionale, mentale)
  • Hyperarousal: Symptome der Übererregung z.B. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, erhöhte Reizbarkeit, Affektintoleranz

 

Weitere Symptome, die auf ein traumatisches Erlebnis hinweisen können:
  • Hyperaktivität (Gefühl des Getrieben-Seins)
  • Hypersensitivität (erhöhte körperliche und/oder emotionale Empfindsamkeit)
  • Ängste (scheinbar irrational)
  • Panikattacken
  • Depressionen
  • Konzentrationsstörungen
  • Erschöpfung/Burnout
  • Chronische Schmerzen
  • Chronische Erkrankungen z.B. Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa, Fibromyalgie etc.
  • Migräne
  • Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Nacken- und Rückenprobleme
  • Probleme mit dem Immunsystem oder dem Hormonsystem (endokrines System)
  • Autoimmunerkrankungen z.B. Morbus Hashimoto, Morbus Basedow (Erkrankungen der Schilddrüse), Lupus Erythematodes, Diabetes Typ 1etc.
  • Gefühle von Fremdbestimmung
  • Bindungsunfähigkeit
  • Dissoziation (ein inneres Abspalten/sich zurückziehen)
  • Störungen der Affektregulation z.B. jähzornige Wutausbrüche, cholerisches Verhalten aber auch erhöhte Weinerlichkeit
  • uvm.

 

Besonders, wenn nach der medizinischen Abklärung körperlicher Symptome keine körperliche Ursache gefunden werden konnte, ist an einen traumatischen Hintergrund zu denken. Hat sich eine Erkrankung, wie z.B. die oben genannten, bereits körperlich manifestiert, kann eine trauma-therapeutische Begleitung neben der medizinischen Behandlung den Heilungsprozess sehr positiv unterstützen.

 

Was ist das besondere an Somatic Experiencing?
  • Diese Methode arbeitet ressourcenorientiert, das heißt, der Focus ist primär auf den individuellen Ressourcen der Klientinnen und Klienten und nicht auf dem Problem.
  • Es ist ein inhaltsfreies Arbeiten möglich, das heißt es braucht nicht zwingend die Rekonstruktion des Ereignisses, was z.B. bei sexuellem Missbrauch sehr unterstützend sein kann.
  • Beachtung der (Psycho-) Physiologie bei Trauma
  • Verständnis für das autonome Nervensystem und den Umgang mit seinen Reaktionen
  • Direkter Zugang über den Körper und das implizite Gedächtnis
  • Nach-Verarbeitung des Ereignisses: körperlich-geistig-seelisch
  • Vermeidung von Retraumatisierung
  • Selbstermächtigung („Ich kann“-Gefühl)
  • Erlernen von Techniken zur Selbstregulation
  • Resilienzerweiterung und Resilienztraining
  • Traumatransformation statt Traumaexposition

 

Verschiedene Traumakategorien:
  • Unfälle verschiedenster Art
  • Stürze
  • Operationen, Narkose, Krankenhausaufenthalte
  • Schwere lebensbedrohliche Krankheiten und deren Diagnose
  • Schocktraumata
  • Schleudertraumata
  • Missbrauch jeder Art (körperlich, sexuell, emotional, narzisstisch)
  • Gewalt (physisch und psychisch)
  • Bedrohung
  • Mobbing
  • Verlust eines nahen Menschen
  • Naturkatastrophen
  • Krieg
  • Folter
  • Traumata in Schwangerschaft, Geburt und früher Kindheit
  • Bindungstraumata
  • Entwicklungstraumata
  • Beziehungstraumata

 

Somatic Experiencing kann in besonderen Belastungszeiten prophylaktisch eingesetzt werden. Die Methode dient auch als Resilienztraining und zur Schulung von Resonanzfähigkeit, Achtsamkeit und Selbstregulation. Die Rückverbindung zu den eigenen Ressourcen als Quelle von Energie und Freude wird unterstützt. Sie führt zu mehr Gelassenheit, innerem Frieden und einem Gefühl von Verbundenheit mit sich und der Umwelt.

 

Mehr Informationen unter:

www.neurotracking.de

www.somaticexperiencing.at

www.somatic-experiencing.de

www.traumahealing.com

 

Literatur:

Levine, Peter A. (2010): Sprache ohne Worte. Kösel Verlag.

Levine, Peter A. (2007): Vom Trauma befreien – Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen, Mit 12 Übungen auf CD. Kösel Verlag.

Levine, Peter A., Kline, Maggie: Verwundete Kinderseelen heilen. Kösel Verlag.

Levine, Peter A., Kline Maggie: Kinder vor seelischen Verletzungen schützen. Kösel Verlag.

Van der Kolk, Bessel: Verkörperter Schrecken. G.P. Probst Verlag.

Rothschild, Babette (2002): Der Körper erinnert sich. Synthesis Verlag.