Pränatal- und Geburtstherapie

Dieser therapeutische Ansatz bietet die Möglichkeit, Babys, Kindern und Erwachsenen eine Form der Unterstützung anzubieten, mit der frühe traumatische Prägungen aufgedeckt und transformiert werden können. Es ist ein integratives, bindungsorientiertes Modell, welches unsere frühesten Lebenserfahrungen miteinbezieht auf seelischer wie somatischer Ebene. Neueste Erkenntnisse der Pränatalen Psychologie zeigen: Beziehungsschwierigkeiten und Bindungsprobleme, aber auch physische und psychische Erkrankungen können ihren Ursprung bereits in der vorgeburtlichen Lebenszeit haben. Manche Probleme von Babys, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen lassen sich erst verstehen und lösen, wenn wir die im Mutterleib und während der Geburt gemachten Erfahrungen mitberücksichtigen.

Dazu schrieb bereits 1924 Gustav Hans Graber, einer der Begründer der Pränatalpsychologie:

„All unsere wissenschaftlichen und psychotherapeutischen Bemühungen um den Menschen bleiben Stückwerk, wenn wir nicht zu der Einsicht vorstoßen und den Mut haben, die Integration des vorgeburtlichen Lebens als den wesentlichen seelischen Bereich in die Biographie und Pathographie (Krankheitsgeschichte) der Persönlichkeit aufzunehmen.“

 

Die Art und Weise, wie wir Menschen den vorgeburtlichen Zeitraum, die Geburt selbst und unsere ersten Jahre erleben, hat großen Einfluss auf die Entwicklung unseres Körpers und unserer Psyche. Die prägenden Erfahrungen aus diesem Zeitraum bilden das Fundament, das einen guten Start in ein gelungenes Leben ermöglicht aber auch seelische und gesundheitliche Störungen hervorrufen kann. Da unsere bewusste Erinnerung erst etwa im dritten Lebensjahr mit der Entwicklung der Sprache einsetzt, können wir die Erfahrungen, die wir im vorsprachlichen Zeitraum gemacht haben, meist nicht verbal artikulieren. Diese Erfahrungen werden jedoch in unserem Körpergedächtnis (implizites Gedächtnis) gespeichert. Neben positiven Gefühlen von Geborgenheit und Verbundenheit können in diesem allerersten Lebenszeitraum (ab Zeugung) auch Empfindungen von Spannung. Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit, Wut Trauer, tiefer Hilflosigkeit etc. entstehen. In der therapeutischen Arbeit sehen wir immer mehr, welch tiefe Spuren störende Einflüsse oder traumatische Ereignisse in dieser hochsensiblen Entwicklungszeit in unserer Persönlichkeit und in unserem Nervensystem hinterlassen. Diese Erfahrungen können als „Grundmelodie“ das menschliche Leben bestimmen. Besonders betroffen sind dabei die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit zu uns selbst und zu anderen. Einschneidende emotionale Erlebnisse können also schon vor unserer Geburt früheste Traumatisierungen und seelische Verletzungen auslösen und uns im Erwachsenenleben daran hindern, unser Leben so zu gestalten, wie wir es eigentlich möchten.

Erste Formulierungen zur pränatalpsychologischen Perspektive gibt es schon bei einigen Autoren der Aufklärung, so etwa bei Johann Karl Wezel (1747-1819), er schreibt:

„Man hat also gemerkt, dass man so nicht alle, doch die meisten gegenwärtigen unerklärbaren Erscheinungen, die sich an vielen Menschen zum Erstaunen der Gelehrten  und Ungelehrten zeigen, sehr leicht würde erklären können, wenn jemand eine genaue und umständliche Geschichte ihrer Schicksale im Mutterleib vom ersten Augenblick ihres Daseins bis zur Geburt bekannt machte“ (zit. nach Bennholdt-Thomson u. Guzzoni 1990). Ganz modern werden auch in der Autobiographie von Adam Bernds schon 1738 pränatalpsychologische Zusammenhänge hergestellt, wenn er schreibt: „…welches alles (die Kriegsängste) sie (die Mutter) in große Angst gesetzt, so dass es nicht wundert, dass er ein melancholisches Geblüte und ein zusammengepresstes Herz auf die Welt gebracht, den die Mutter unter einem 9 Monate lang zerknirschten und mit Furcht und Angst beklemmten Herz getragen, …“

(zit. nach Bennholdt-Thomson u. Guzzoni 1990)

 

In den 1920er Jahren haben die beiden Psychoanlytiker Otto Rank und Gustav Hans Graber auf die prägende Bedeutung der Erfahrungen der vorgeburtlichen Zeit und der Geburt auf unser Leben hingewiesen. Die Anerkennung von deren Entdeckungen scheiterte am noch dominierenden naturwissenschaftlich-patriarchalen Zeitgeist. Der ungarische Psychoanalytiker Nandor Fodor hat diese Erkenntnisse dann als einer der ersten in seine therapeutische Tätigkeit miteinbezogen. Generell befasste sich aber das vorherrschende psychoanalytische Modell mit der Zeit ab der Geburt. Ein allmählich veränderter Zeitgeist in den sechziger Jahren ermöglichte jedoch 1971 die Gründung der internationalen Gemeinschaft für Pränatale Psychologie und Medizin, die sich zu einer interdisziplinären Gesellschaft zur Erforschung der lebensgeschichtlichen Bedeutung der vorgeburtlichen Zeit und der Geburt entwickelte. 1982 folgte die Gründung der APPPAH (American Association for Prenatal and Perinatal Psychology and Health) durch den kanadischen Psychotherapeuten Thomas Verny. Er hatte 1981 mit dem Weltbestseller „Das Seelenleben des Ungeborenen“ („The secret life oft the unborn“) das Thema eines Erlebens vor und nach der Geburt öffentlich bewusst gemacht. In den letzten 40 Jahren begannen Pioniere der neuen Generation, wie William Emerson, David Chamberlain, Franklyn Sills und Ray Castellino, den Blick zu erweitern und das vorgeburtliche (Er-)Leben mit in die therapeutische Arbeit einzubeziehen.

Da die pränatale Forschung lange Zeit eine rein empirische Forschung war, beruhend auf Erfahrung und sorgfältiger, sehr genauer Beobachtung und Dokumentation, wurde sie von der Wissenschaft nicht ausreichend beachtet und ernst genommen, weil sie nicht deren Kriterien entsprach. Aktuell untermauern aber Wissenschaftsgebiete, wie z.B. die Gehirnforschung, die Epigenetik, die Psychoneuroimmunologie und Psychoneuroendokrinologie, etc, die Erkenntnisse der pränatalen Forschung, wodurch sie mehr und mehr an Bedeutung und Akzeptanz gewinnt.

Die Erkenntnisse der Pränatalpsychologie, vor allem das Bewusstsein, dass wir von der Zeugung an bewusst wahrnehmende Wesen sind und all unsere Erfahrungen in unserem impliziten Gedächtnis gespeichert sind, sind Basis meiner Haltung in der Begegnung mit Menschen.